Die „Türckische Cammer“ der Kurfürsten von Sachsen – entstanden im 16. Jahrhundert und heute zu bewundern im Residenzschloss Dresden – ist eine der wichtigsten europäischen Sammlungen orientalischer Kunst und hat ihre Wurzeln in dem ab dem Ende des 15. Jahrhunderts aufkommenden und sich etwa 300 Jahre haltenden Türkenmotiv bzw. der Türkenmode in der europäischen Kultur. Zu dieser in viele Bereiche des höfischen Lebens eingreifenden Türkenmode gehörten in entsprechenden Kostümierungen veranstaltete Waffenübungen, Maskenbälle sowie Theater- und Opernaufführungen.
Sammlungen wie die „Türckische Cammer“ dienten vor allem dazu, die genannten Veranstaltungen mit Kostümen und Dekoration ausstatten zu können.
Das Aufkommen der Türkenbegeisterung
Das Türkenbild in Europa unterlag dabei im Laufe dieser langen Zeit immer wieder Veränderungen, die sich je nach aktuellen Gegebenheiten in einer großen Bandbreite zwischen einerseits dem oft grausamen Feind der Christenheit und andererseits dem kulturell und wirtschaftlich für damalige Verhältnisse hochstehenden und rasch wachsenden Reich am Bosporus bewegte. Bei Festen des Hofes verarbeitete man die Vorstellung vom Türken als großen Feind, indem dieser bei aufwendig nachgespielten Kämpfen besiegt wurde. Dabei kam die Führung der siegreichen christlichen Truppen in solchen Szenen zumeist dem gerade anwesenden ranghöchsten Fürsten zu, um dessen Ruhm noch zu mehren.
Die Hochzeit des Sohnes August des Starken als Höhepunkt der Türkenmode
Einen Höhepunkt bildete hierbei die Hochzeit des Sohnes Augusts des Starken (der damalige Herzog Friedrich August von Sachsen) mit der österreichischen Erzherzogin Maria Josepha im Jahr 1719 – es war genau das Fest, für das bekanntlich der Dresdner Zwinger fertiggestellt worden war. August der Starke, der sich seinerseits große Hoffnungen auf die Kaiserkrone machte, empfing das Hochzeitspaar am 2. September gekleidet wie ein Sultan und im orientalischen Ambiente; so hatte man beispielsweise am Elbufer neun türkische Zelte aufgebaut, die von echten Türken bewacht wurden. Die Hochzeit selbst bestand aus einer ganzen Reihe rauschender Feste, die sich unter verschiedenen Themen und entsprechender Ausgestaltung über Wochen hinzogen. Bezüglich der Türkenmode seien hier genannt das Türkische Fest am 17. September, bei dem die Diener orientalische Kleidung trugen, und natürlich das Merkurfest mit großem Jahrmarkt am 20. September 1719, bei dem auch die Gäste in orientalischen Kostümen auftraten.
Nicht nur bei den großen Festen, sondern auch im Alltag des kurfürstlichen Hofes in Dresden spielte die Orientierung an der Kultur des Osmanischen Reiches eine große Rolle. Es wurde sehr gern Kaffee getrunken (vermutlich nahm hier die den Sachsen nachgesagte große Leidenschaft für Kaffee ihren Anfang…), die Räume wurden orientalisierend dekoriert, man kleidete sich gern in orientalische Gewänder und sorgte dafür, daß auch die Dienerschaft entsprechend orientalisch gekleidet war.
Der Niedergang der Türkenmode
August der Starke starb am 1. Februar 1733. Dieses Datum läutete zugleich auch den Niedergang der Türkenmode am Hof in Dresden ein, und dies zu einem Zeitpunkt, als die anderen Höfe in Deutschland gerade erst begonnen hatten, große Feste im orientalischen Stil (oder dem, was sie jeweils dafür hielten) zu feiern. Aber der neue König August III. von Polen (bzw. Kurfürst Friedrich August II. von Sachsen) hatte seinen verfeinerten Kunstgeschmack vor allem bei einem langen Aufenthalt in Venedig im Rahmen seiner mehrjährigen Kavalierstour ausgebildet. Somit war er sehr stark nach Italien orientiert und begeisterte sich für italienische Oper und Malerei, statt für orientalische Kostüme.
Abgesehen von seiner Feier zur Krönung zum König von Polen am 17. Januar 1734 in Krakau, bei dem noch einmal ein türkisches Fest wie zu Lebzeiten seines Vaters mit vielen Leihgaben aus der Türckischen Cammer in Dresden gefeiert wurde, gab es nur ein nennenswertes Ereignis im orientalischen Stil:
Am 5. Februar 1753 wurde in Dresden die Oper „Solimano“ des Dresdner Kapellmeisters Johann Adolf Hasse uraufgeführt. Dabei wurde ein bis dahin unerreichter Aufwand bei der Ausstattung betrieben. So wirkten über 600 (!) Sänger und Statisten mit, hinzu kamen noch Pferde und sogar Kamele. Ausgerüstet wurden die Akteure dabei mit orientalischer Kostümierung, die großenteils echt war und wiederum der Türckischen Cammer entstammte.
Für Dresden war dies das letzte große Aufblühen der Türkenmode, bevor diese hier an Bedeutung verlor. Andernorts hingegen wuchs das Interesse an der Türkenmode und steigerte sich in eine allgemeine Orientmode, die im 18. Jahrhundert länger vorhielt. Einer der exzentrischsten Vertreter dieser Moderichtung war Jean-Étienne Liotard, der Maler des berühmten Bildes „Das Schokoladenmädchen“, das seit 1745 eines der Glanzstücke des Dresdner Gemäldesammlung, genauer gesagt des damaligen Pastellkabinettes ist. Liotard lebte nicht nur einige Jahre in Konstantinopel, sondern porträtierte seine Kundschaft nach seiner Rückkehr oft und gern in orientalischen Gewändern. In diese hüllte er sich auch selbst gern (wofür er fast genau so bekannt war wie für seine vorzüglichen Pastelle), sogar bei Audienzen bei der österreichischen Kaiserin Maria Theresia.